Nachruf auf Brain Daniel Gomes de Queiroz, genannt TININHO
aus dem Ortsteil Brasília Teimosa – Recife /PE - Brasilien
Geboren: 2. Januar 1998
Gestorben: 12. Februar 2012
Der Nachruf zum Tod von Tininho
-geschrieben von Schwester Denise de Sousa-
Er war bei allen liebevoll unter seinem Spitznamen Tininho bekannt und ein Junge, der anders als so viele andere in einer einzigartigen Welt voller Überraschungen gelebt hat und gestorben ist. Er war das Kind von Alkoholikern und schien dadurch vom Schicksal dazu verurteilt, zu leiden und sich schon ganz früh in einer Welt von Gewalt und wenigen Perspektiven zu Recht finden zu müssen.
Seine Mutter brachte noch zwei andere Kinder zur Welt, die ein tragisches Ende nahmen. Breno war der Erste, der schon früh von Zuhause weglief, um auf der Strasse zu leben. Irgendwann später erhielt seine Mutter die Nachricht, dass ihn ein Auto auf einer Allee der Stadt überfahren und tödlich verletzt hatte. - Der nächste war dann Bráulio. Er wurde zusammen mit anderen Jugendlichen ermordet. Bis heute weiß man noch nicht die eigentlichen Gründe dafür oder wer diese Tat begangen hat. Brivaldo oder auch Tatá genannt ist der Dritte, der auf der Strasse lebt. Er ist jetzt 23 Jahre alt und wegen seiner Drogensucht hat er keine Kräfte mehr, um eine bessere Zukunft für sich zu sehen und um eine Entziehungskur zu machen, die ihn von dieser Sucht befreien könnte.
Als Tininho weniger als ein Jahr alt war, befand sich seine Mutter mit ihm auf der Strasse. Sie war betrunken und Polizisten, die entweder auf Streife waren oder durch eine anonyme Anzeige darauf aufmerksam gemacht worden waren, sahen die betrübliche Szene, wie die Mutter sich betrank und gleichzeitig ihrem Kind die Brust gab. Die Beamten nahmen das Kind mit auf eine Polizeiwache im StadtviertelBrasília Teimosa. Als Bewohner des Viertels davon erfuhren und aus Angst, dass Tininho in irgendein Obdachlosenheim gebracht würde, beschlossen diese dann Schwester Aurieta zu benachrichtigen. Sie handelte rasch ohne lange zu überlegen. Sie sprach mit dem Kommissar und es war nicht einfach, ihn davon zu überzeugen, ihr das kleine Kind auszuhändigen. Als sie dann schließlich die Wache mit ihm auf dem Arm verließ, schrieen alle Umstehenden: „Tininho, Tininho!“
(Uns stellt sich dabei die Frage, ob eine Mutter jemals eines ihrer Kinder, das sie zur Welt gebracht hat, vergessen oder nicht mehr lieben könnte. Sollte es eine solche Frau geben, dann wird sich sicher Gott in Seiner Liebe an uns erinnern.)
Auch wenn Tininho vielleicht nicht eine Frucht der Liebe gewesen sein sollte, ist er von Gott dennoch nicht einen Augenblick lang vergessen worden. ER stellte ihm viele besondere Menschen zur Seite, damit er diese Liebe leben und spüren konnte. Als er noch im Kindergarten war, zeigte er schon seine Eigenständigkeit. Als wir einmal mit der Direktorin des Zentrums für Kindererziehung BERNARDO VAN LEER sprachen, sagte sie uns, dass Brian Daniel (Tininho) nicht mit der neuen Lehrerin zurecht kam und deshalb mit der Bitte zur Direktion ging, ihn in eine andere Klasse gehen zu lassen. Er sagte dazu: Meine Mutter will nicht hierher kommen, um das in Ordnung zu bringen, deshalb bitte ich nun selbst darum. Die Direktorin erzählte diese Begebenheit auf den Versammlungen des Sekretariats für Erziehung und alle, die davon hörten, bewunderten diesen Akt der Kühnheit.
Ich glaube, er war etwa 10 Jahre alt, als er oft ziellos mit dem Fahrrad in unglaublicher Geschwindigkeit durch die Gegend fuhr. Bis er eines Tages vor einen Bulli fuhr und schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Es mussten einige Brüche mit Stahlschienen geflickt werden und bei ihm blieben Wundmale am Arm sowie im Kopf und im Herzen zurück. Er brach sich seinen Arm noch oft und wurde verschiedene Male in Kinderheime gebracht.
Auf einem Fest mit den Kindern des FLAU – als er wieder einmal Zuhause war – bat er um das Mikrofon und sang das Lied von Roberto Carlos mit dem Titel „Muttergottes gib mir die Hand“ (Foto links: Juli 2005). Zu diesem Zeitpunkt konnte er sicher noch kaum etwas davon wissen, dass er für seine Zukunft oft die schützende Hand der Muttergottes brauchen würde.Diese Hand machte sich auf seinem Lebensweg durch alle Personen bemerkbar, die ihn gern hatten. Aber leider hat er nie die liebende Hand seiner eigenen Mutter durch Gesten der Zärtlichkeit und des Anschmiegens zu spüren bekommen.
Zu Ostern, zu Weihnachten und auf seinem Geburtstag bekam er Geschenke von Freunden aus der Gemeinde und aus der Gruppe des FLAU und auch besonders von Schwester Aurieta, die er als seine Patentante verehrte.
Tininho war ein sehr kluger aber auch ein auf sein Äußeres bedachter Junge. Wenn er uns ab und zu in den kleinen Läden unseres Viertels traf, bat er uns, für ihn Haarcreme oder ein Deo zu kaufen. Das tat er wahrscheinlich, um den Schmerz zu lindern, der ihm das Fehlen von elterlicher Liebe bereitete.
Einer seiner Idole war der Musiker Izidro Junior, der den Chor des FLAU leitete. Es war nicht so sehr die Musik die Izidro sang, die ihn beeindruckte, sondern sein Haarschnitt. Er sagte dazu: „Ich werde meine Haare wachsen lassen, damit sie so wie seine aussehen!“ Aber die Haare von Tininho waren sehr kraus und sein Wunsch ging nicht in Erfüllung.
Oft kam er zu uns, um bei uns zu Abend zu essen. Bei einer dieser Gelegenheiten war Hélio Alves vom Projekt Nosso Lar (Unser Zuhause) gerade da und Schwester Aurieta bat Tininho, er solle doch bei uns schlafen und nicht auf die Strasse zürückkehren. Hélio sang dann einige Schlaflieder und nach vielen Liedern – wahrscheinlich hatte Hélio schon alle gesungen, die er kannte – schlief er endlich ein. Aber schon sehr früh am nächsten Tag fragte er nach seiner Mutter, wahrscheinlich als Reaktion auf die Schlaflieder. Hätte seine Mutter solche Lieder ab und zu gesungen, wäre sein Schicksal ein anderes geworden. Aber weder Tininho noch seine anderen Brüder sprachen weder schlecht noch gut von ihrer Mutter.
Am Tag, an dem die monatlichen Geburtstage der Kinder des FLAU gefeiert wurden erschien auch Tininho und wollte sein Geschenk haben(Foto bei der Geburtstagsfeier für die Kinder im Januar 2004, mit Tininho, Schwester Aurieta und Schwester Graca). Denn seine Mutter hatte ihm nie den Tag seiner Geburt gesagt und auch nie einen Weg fürs Leben gewiesen. Einige von uns ärgerten sich auch über ihn, denn bei den wenigen Malen, die er zu unseren Aktivitäten im FLAU erschien, merkten wir, dass er sich nicht einfügen konnte. Wenn ihn jemand darauf aufmerksam machte, sagte er: „Ich werde es Schwester Aurieta sagen!“ Es war schwer zu verstehen, dass er damit ausdrücken wollte, dass er es gerne gehabt hätte, wenn seine eigene Mutter ihn beachtet, ihn geliebt und auf den Schoss genommen hätte. Aber sie hat ihm nie eine Geschichte erzählt und auch nicht das Leben mit ihm geteilt.
Als ich im Jahre 2004 meine ersten Ordensgelübde ablegte, kamen auch Schwestern aus der Gegend von Goiâna (Gioas) und alle waren von der Intelligenz Tininhos beeindruckt. Er erfand eine Geschichte, dass er für einige Cents als Masseur fungieren würde und massierte mit seinen kleinen Händen, die niemals eine zärtliche Berührung zu spüren bekommen hatten, geschickt die Schultern einiger Anwesenden.
Seit klein auf war er dazu bestimmt, auf eigene Faust zu leben und sah in der Strasse seine Mutter, die ihn in ihre Arme nahm und wo er sich aus seiner Sicht wohl zu fühlen schien. Eines Tages wurde er zu einer caritativen Einrichtung namens „Der Kleine Nazareno“ gebracht, die Kinder und Jugendliche in Risikosituationen aufnimmt. Die Erzieher des Hauses erkannten sofort, dass es sich bei ihm nicht um irgendeinen Jungen handelte. Er lebte mehr als ein Jahr dort und Schwester Aurieta besuchte ihn oft. Auf Bitten von Aurieta erhielt er auch einen Besuch von seiner leiblichen Mutter.
Es schien eine Einrichtung zu sein, in der er sich gut eingewöhnen würde, wäre nicht der Instinkt des Sohnes gewesen zu seiner „eigentlichen“ Mutter zurückkehren zu wollen. Er verließ das Haus, weil seine Mutter ihm versprochen hatte, sich um ihn zu kümmern. Aber das geschah nicht. Am Tag seines Geburtstags (am 2. Januar 2012) besuchte er zum letzten Mal die Gruppe des FLAU. Er aß mit der Nachmittagsgruppe zu Mittag, verabschiedete sich und kehrte nie mehr zu uns zurück.
(Foto links: Besuch vom Freund und Partner der „Turma do Flau“, Chico Schoo aus Schöningen, Juli 2008)
Am 27. Januar wurde er wieder ins Krankenhaus eingeliefert. Er war zusammengeschlagen worden. Man erzählt, dass er mit einem neunjährigen Jungen einen kleinen Streit gehabt hatte. Als die betrunkene Mutter des Jungen davon erfuhr, hat sie Tininho zur „Rechenschaft“ gezogen, in dem sie auf seinen Körper und auch seinen Kopf einschlug und noch mit drei Messerstichen verwundete. Die Ärzte behandelten die Stiche, aber nicht die Schlagstellen am Kopf. Als sie bemerkten, dass eine Tomografie notwendig gewesen wäre, war es schon zu spät. Das Gehirn war schon angeschwollen und es gab keine Überlebenschance mehr. Er kam auf die Intensivstation und die Eltern spendeten seine Organe, damit andere Menschen überleben oder besser leben können. Er starb am 12. Februar 2012 und machte sich auf den Weg zum Haus des Vaters, wo er mit seinen Brüdern Bráulio und Breno zusammentreffen wird.
(Foto rechts: Tininho mit Melanie Lohoff, Juli 2010 - Melanie u. Udo Lohoff haben Tininho am 11. Februar 2012 noch im Krankenhaus von Recife besuchen können, jedoch lag Tininho bereits im Koma)
Tininho, wir werden immer an dich denken. Bitte die Muttergottes darum, dass sie immer Ihre Hand geben möge. Du sollst für uns ein Licht sein, damit keiner der Kleinsten ohne Richtung aufwachsen möge. Hilf uns dabei, damit wir uns um die vielen Kinder kümmern können, die Liebe brauchen, die an das Leben glauben und die Sonne aufgehen sehen müssen und mit einem freundschaftlichen Lächeln im Gesicht zeigen, dass es lohnt zu träumen.