8.11.2010
„Mythos industrialisierte Landwirtschaft“
Misereor-Experte Bernd Bornhorst weist die Kritik der CDU zurück
Im Streit um die Ausrichtung der Entwicklungshilfe weist Misereor die Kritik von CDUWelternährungsexperte
Johannes Röring zurück. „Es gehe um wirksame
Hungerbekämpfung“, sagt Bernd Bornhorst, Leiter der Abteilung Entwicklungspolitik bei
dem katholischen Hilfswerk.
KNA: Vom CDU-Bundestagsabgeordneten Johannes Röring kommt der Vorwurf, Misereor
und andere Hilfsorganisieren betrieben eine „ideologisierte Entwicklungshilfe“. Der
Landwirtschaft in Afrika werde der technische Fortschritt verweigert. Es gebe eine
Verherrlichung der kleinbäuerlichen Struktur.
Bornhorst: Misereor geht es in erster Linie um eine wirksame Hungerbekämpfung, und ganz
und gar nicht um eine Verherrlichung kleinbäuerlicher Strukturen oder eine
fortschrittsfeindliche Haltung. Die Hungerbekämpfung muss dort ansetzen, wo der größte
Hunger herrscht: auf dem Lande, bei den Kleinbauernfamilien. Und dort setzt unsere
Zusammenarbeit an, die vieles zum Ziel hat, was Herr Röring fordert: Gründung von
Bauernverbänden, Diversifizierung der Anbaustrukturen, Bau von Lagerstätten.
KNA: Wo liegt dann der Konflikt?
Bornhorst: Wir setzen die Priorität auf die Produktion für lokale und regionale Märkte und
nicht auf den Export. Kein Mensch spricht sich in diesem Zusammenhang gegen Wachstum
oder unternehmerisches Handeln gerade für Kleinbauern aus. Misereor kann mit zahlreichen
Studien belegen, dass es bereits viele erfolgreiche Beispiele gibt, die zeigen, wie Kleinbauern
durch eine nachhaltige, standortgerechte Landwirtschaft in die Lage versetzt wurden, nicht
nur von der Hand in den Mund zu leben, sondern einen viel weitergehenden Beitrag zur
Entwicklung ihrer Familien und Gemeinden zu leisten.
KNA: Röring meint, der Hunger lasse sich bekämpfen, in dem afrikanische Landwirte ihre
Erträge steigern, etwa durch Kunstdünger und Maschinen statt Holzpflug und Ochs und Esel.
Was ist falsch daran?
Bornhorst: An einer Ertragssteigerung ist gar nichts falsch. Im Gegenteil: Misereor unterstützt
viele Projekte, in denen es um Optimierung und Professionalisierung der Landwirtschaft geht.
Allerdings haben die letzten Jahrzehnte gezeigt, dass der Weg der industrialisierten
Landwirtschaft für Kleinbauern in landwirtschaftlich prekären Lagen nicht der richtige ist.
Kunstdünger ohne die Pflege des Bodens durch organisches Material führt zu einer
Verringerung der Bodenstruktur. Maschinen helfen den großen Plantagen, mit wenigen
Arbeitskräften große Flächen zu bewirtschaften. Aber für die Armutsbekämpfung ist eine
intensive Nutzung selbst kleiner Flächen besser geeignet, vielen Menschen ein gutes
Einkommen zu ermöglichen.
KNA: Wie wichtig ist dabei das Wissen der Bauern vor Ort?
Bornhorst: Misereor hat von den Erfahrungen vieler Kleinbauern in Afrika, Asien und
Lateinamerika gelernt, dass sie auf Grundlage des lokalen Wissens und innovativer Ideen eine
ertragssichere und nachhaltige Landwirtschaft aufbauen können. Diese sichert selbst unter
extrem widrigen Bedingungen wie Dürren oder Hanglagen das Überleben der Familien. Den
Bauern ist vor allem wichtig, aus der Schuldenfalle der industrialisierten Landwirtschaft zu
entkommen, die sie viel Geld kostet: für Dünger und Pestizide, für jährlich neues Saatgut. Ein
Jahr mit schlechten Ernten bedeutet für sie Verschuldung und vielleicht sogar Verlust des
Betriebes. Mit nachhaltiger Landwirtschaft müssen sie kaum Geld investieren, haben dafür
aber gesicherte Einkommen für ihre wirtschaftliche Weiterentwicklung.
KNA: Welche Folgen hätte eine industrialisierte Landwirtschaft?
Bornhorst: Eine industrialisierte Landwirtschaft bedeutet in diesem Kontext häufig eine
ausschließliche Ausrichtung an Exportinteressen, Konzentration von Land,
Wertschöpfungsketten in wenigen Händen und eine Missachtung der kleinbäuerlichen
Interessen. Herr Röring hat unter anderem Blumenplantagen in Äthiopien und Kenia
besichtigt, die ausschließlich für den Export nach Europa produziert werden und den
kenianischen Bauern das Wasser aus dem Boden entziehen - diese Beispiele sollten ihm
eigentlich die Augen dafür geöffnet haben. Misereor setzt sich sehr für Fortschritt und
unternehmerisches Handeln ein. Aus der Perspektive der Hungerbekämpfung kommt es aber
gerade darauf an, dieses gerade den Kleinbauern zu ermöglichen und nicht etwa einer
ausschließlich an Gewinnmaximierung orientierten Agrarindustrie. Das hat nichts mit
romantischer Verklärung der Vergangenheit zu tun, sondern ist eine sehr pragmatische
Antwort auf den Hunger in der Welt.
KNA: Aber ist es nicht auch für die Kleinbauern wichtig, sich für den Markt zu rüsten? Kann
eine kleinbäuerlich strukturierte Landwirtschaft denn die Welt ernähren?
Bornhorst: Es ist ein Mythos, dass industrialisierte Landwirtschaft die Welt ernährt. Wie der
Weltagrarbericht, der von UN und Weltbank in Auftrag gegeben wurde, feststellt: Mit der
Industrialisierung der Landwirtschaft konnte die Welternährung nicht gesichert werden.
Denken Sie daran, dass nach der Hungerkrise 2008 fast eine Milliarde Menschen hungern, die
meisten davon Kleinbauern. Nehmen wir das Beispiel eines philippinischen Bauern, der auf
einem Hektar Reis anbaut. Zum Beginn der Saison kauft er Saatgut, Dünger und Pestizide auf
Pump bei seinem Reishändler. Direkt nach der Ernte, wenn der Preis niedrig ist, muss er alles
an den Reishändler verkaufen, um seine Schulden zu begleichen, die Schulgebühren für die
Kinder zu zahlen und so weiter. Im Lauf des Jahres muss er dann selbst Reis kaufen - auf dem
lokalen Markt, und zu viel höheren Preisen.
KNA: Also ein Teufelskreis?
Bornhorst: Das ist meist die Realität der Kleinbauern. Sie haben keine fairen Chancen auf
dem Markt. Sie würden deshalb dem Hunger entgehen, wenn sie wenigstens die eigene
Ernährung sichern könnten. Überschüsse können sie auf dem lokalen Markt verkaufen. Und
wenn eine produktivere, kostengünstigere Anbauweise ihnen dann erlaubt, immer mehr zu
produzieren, können sie auch ihr Einkommen deutlich erhöhen. Dies ist eine Entwicklung, die
wir bei vielen Bauern beobachten können: wie sie von hungernden, abhängigen und
verschuldeten Bauern zu selbstständigen, innovativen Betriebsführern werden, stolz auf ihre
Errungenschaften. Wir stimmen Herrn Röring zu: Man darf die Kleinbauern, Frauen und
Männer, nicht unterschätzen.
Das Gespräch führte Volker Resing.
(kna)