Am 13. Mai 2024 war es endlich soweit – es ging für mich wieder nach Brasilien. Endlich, weil meine letzte Reise nun sechs lange Jahre her war. Damals habe ich, Marie Meissner aus Castrop-Rauxel, nach meinem Abitur einen siebenmonatigen Freiwilligendienst geleistet. Gemeinsam mit Udo und einer Gruppe ging es im September 2017 los. Nach circa dreiviertel der Reise sind wir in dem Projekt „Nosso Lar“ (Unser Zuhause) in Juazeiro do Norte angekommen, wo ich den Großteil meiner Zeit verbringen durfte. Darüber hinaus konnte ich die „CPT“ (Comissão Pastoral da Terra; Pastoralkommission der Bischofskonferenz) in Cajazeiras kennenlernen. Schon lange war es mein Wunsch, nochmal zurückzukehren und alle wiederzutreffen, aber durch mein Studium ließ es sich erst jetzt ermöglichen.
Nach langer Reise wurde ich Mittwochsmorgens von meinem Gastvater Hélio am Flughafen von Juazeiro do Norte abgeholt. Sowohl das Wiedersehen mit meiner Gastfamilie wie auch mit den Mitarbeitenden im Projekt war sehr herzlich und schön. In Nosso Lar werden Kinder im Schulalter betreut. Neben einer warmen Mahlzeit, die sie im Projekt bekommen, nehmen die Kinder an Theater-, Musik- oder Tanzunterricht teil, können Jiu-Jitsu und Kunsthandwerk erlernen oder im Chor mitsingen. Das eigentliche Ziel des Projektes ist jedoch die Vermittlung von Werten, Umgangsformen und Wissen bspw. zum Thema Nachhaltigkeit. Diese hat eine große Bedeutung, da die Kinder diese Dinge Zuhause oftmals nicht vermittelt bekommen. Generell bieten das Projekt und die Mitarbeitenden den Kindern einen Ort des liebe- und respektvollen Umgangs, der Zuflucht sowie ein offenes Ohr. Wie sehr dieser manchmal nötig ist, wurde mir in den Gesprächen mit meinen Gasteltern wieder bewusst. Während meiner vierwöchigen Mitarbeit im Projekt, dem gemeinsamen Spielen und den Gesprächen mit den Kindern vergisst man manchmal, aus welch schwierigen Lebenssituationen sie kommen. Es wird einem stets Fröhlichkeit entgegengebracht und fast immer miteinander gelacht. Dabei hat der Großteil der Kinder viele Probleme. Nicht nur die Armut erschwert vielen Familien den Lebensalltag. Auch der Suchtmittelgebrauch mancher Eltern oder zerrüttete Familienverhältnisse kommen nicht selten vor. Durch das Projekt wird ein geschützter Raum zur Verfügung gestellt, in dem die Kinder Kinder sein dürfen. Diesen Raum tagtäglich zur Verfügung zu stellen, fällt den Projektverantwortlichen Hélio und Edivania leider nicht leicht. Die finanziellen Zuschüsse und Unterstützungen reichen gerade so, um die laufenden Kosten zu decken. Am Monatsende bleibt jedoch nichts übrig, um darüber hinaus Anschaffungen zu betätigen oder bspw. kaputte Stühle zu ersetzen. Glücklicherweise gibt es wöchentlich Lebensmittelspenden, auf die man dort dringend angewiesen ist. Meine Gasteltern haben mir erzählt, wie schwierig die Situation oftmals ist und wie notwendig die Unterstützung aus Deutschland. Ohne die Hilfe des Aktionskreises könnte das Projekt so nicht dauerhaft weiterlaufen.
Nach dem ersten wunderbaren Monat und einem traurigen Abschied in Juazeiro do Norte ging es weiter ins ca. 130 km entfernte Cajazeiras. Die CPT unterstützt die Kleinbäuer*innen im Nordosten Brasiliens Land zu erhalten, Siedlungen aufzubauen und solidarisch miteinander zu leben. Es geht u. a. um den Aufbau von Netzwerken, Anbaustrukturen, Wertschöpfungskreisläufe und das Thema Gesundheit. Einen Großteil meiner Zeit in der CPT habe ich Socorro begleitet. Sie betreut zurzeit das Projekt „Caatinga viva pelas mãos das mulheres“ (Caatinga (Dornstrauchsavanne im Nordosten Brasiliens) lebt durch die Hände der Frauen), das mit den Frauen in den verschiedenen Siedlungen arbeitet. Beispielsweise haben sich diese in einer Siedlung zusammengeschlossen, um Backwaren und Nachtisch herzustellen und zu verkaufen. In Gesprächen mit Ihnen wurde bspw. überlegt, wie die Produktion und der Verkauf weiter optimiert und die Einnahmen so weiter gesteigert werden können. In einer anderen Siedlung wollten sich die Frauen zusammenschließen, um gemeinsam Obst und Gemüse anzubauen. Dafür liefen die Planungen an und es wurde besprochen, welcher Ort sich dafür eignen würde, was angepflanzt werden soll und wie allgemein die Umsetzung aussehen könnte. Höhepunkt dieser Zeit war die gemeinsame Fahrt nach Natal. Dort hat das fünftägige nationale Treffen des internationalen Aufmarsches der Frauen stattgefunden. Die Vorträge und Workshops behandelten u. a. die Themen Gewalt und Rassismus gegen Frauen, Selbstbestimmung von Körper und Sexualität sowie Legalisierung der Abtreibung. In diesen Tagen ist sowohl mir wie auch den anderen Teilnehmerinnen nochmal bewusst geworden, wie wichtig und notwendig der Kampf für die Rechte von Frauen ist – insbesondere in Brasilien, wo das Patriarchat und der Machismus nochmal eine andere Bedeutung haben.
Während meines letzten Aufenthaltes konnte ich den brasilianischen Karneval miterleben und dieses Mal den Feiertag São João. Der Juni ist, insbesondere im Nordosten Brasiliens, eine Zeit der Feste und der Würdigung der ländlichen Traditionen des Landes und es war eine tolle Erfahrung, die Zeit mitzuerleben. Die Zeit verging viel zu schnell und so hieß es Ende Juli schon wieder Abschied nehmen. Dieser ist mir alles andere als leichtgefallen, da meine beiden wunderbaren Gastfamilien, die Kinder und Familien aus den Projekten sowie die engen Freundschaften die Zeit wieder einmal zu etwas ganz Besonderem gemacht haben, das es schwer fällt zurückzulassen.
Während meiner gesamten Zeit, sowohl im Projekt Nosso Lar wie auch in der CPT, ist der Aktionskreis und insbesondere Udo ständig präsent gewesen. Man merkt, wie wichtig die Unterstützung des Aktionskreises für die Arbeit vor Ort ist, für die Umsetzung und Aufrechterhaltung der Projektalltage. Und genauso wie uns Udo hier in Deutschland fehlt, vermissen ihn die Projektpartner*innen in Brasilien. Er ist und bleibt für immer in den Köpfen und Herzen der Menschen vor Ort. Wie sehr sie der Verlust beschäftigt, zeigen u. a. ein ihm gewidmetes Theaterstück der Kinder sowie ein Wandgemälde im Projekt. Und auch wenn der persönliche Austausch allen sehr fehlt, kann ich mit Sicherheit sagen, dass er die Brasilianer*innen tagtäglich bei ihrer Arbeit begleitet und niemals vergessen wird!
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