Am späten Dienstagnachmittag fuhren wir mit Hermano de Sousa, dem Leiter des Projektes „Nova Vida“, zur Mülldeponie von Crato, um im Rahmen seiner Menschenrechtsarbeit für die Hilfsaktion „Justicia e Paz“ (Gerechtigkeit und Frieden) Lebensmittelpakete, sogenannte „Cestas Básicas“ an Müllsammler auf der Deponie zu verteilen. Schon von Weitem sah man die überall auf der Deponie und in seiner Umgebung hell aufleuchtenden Plastiktaschen und umherfliegende schwarze Urubus (Aasgeier) – ein fürchterlicher und Abscheu erregender Anblick. Die Zufahrtswege zur Deponie waren aufgrund der tagelangen Regenfälle sehr aufgeweicht und nur schwer passierbar. Insbesondere aber die Begegnung mit den Menschen auf der Mülldeponie war für uns schockierend und machte uns regelrecht sprachlos. Hunderte von Menschen – Männer, Frauen und auch Kinder – suchen auf dieser Deponie in Konkurrenz zu Aasgeiern und Schweinen nach allem, was noch irgendwie verwertbar, brauchbar und zu verkaufen ist, u.a. nach Papier, Plastik- und Glasflaschen, Eisen und seltenen Metallen. Ihre gesammelten Wertsachen deponieren sie in großen Säcken und auf mitgebrachten Pferdegespannen. Der Erlös für diese dem Müll entwendeten Wertsachen ist allerdings sehr gering, nicht zuletzt dadurch, dass die Abnehmer und Zwischenhändler der Müllsammler die Preise immer wieder drücken. Eine den ganzen Tag über menschenunwürdige Arbeit auf der Müllhalde ermöglicht daher gerade ein menschliches Überleben, aber kein Einkommen für ein menschenwürdiges Leben. Während der Corona-Epidemie wurde dieser Kampf um das tägliche Überleben der Müllsammler auf der Deponie von Crato noch verschärft, so dass auch dort die Verteilung von Lebensmittelpaketen für den Überlebenskampf der Müllsammler zur Herausforderung wurde. Nach einer kurzen Ansprache von Hermano de Sousa an eine registrierte Gruppe von besonders hart betroffenen Familien und einem gemeinsamen Vater-unser-Gebet wurden Lebensmittelpakete als Ausdruck unserer Solidarität verteilt. Hermano de Sousa hob in seinen Worten an die Müllsammler hervor, dass wir alle als ein Geschöpf Gottes ein Recht auf ein Leben in Würde und auf eine menschenwürdige Arbeit haben; der Kampf gegen Unrecht und Ausbeutung stelle daher eine besondere Herausforderung für uns als Christen dar. Die Gesichter der Müllsammler, die von uns abschließend ein Lebensmittelpaket mit lebensnotwendigen Grundnahrungsmitteln und Hygieneartikeln erhielten, offenbarten uns ihre Freude, aber auch ihre gewiss empfundene Demütigung, nicht mithilfe ihrer eigenen Hände Arbeit ein menschenwürdiges Leben führen zu können, ohne auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein – und das in einem so reichen Land wie Brasilien. Der Besuch auf der Mülldeponie in Crato ließ unsere Besuchergruppe auch am Abend nicht wirklich innerlich zur Ruhe kommen; es waren vor allem die Gesichter der Menschen, die uns noch lange verfolgen werden.
Texte aller Posts sind von Franz Schoo, Königslutter und die Fotos von Linus Lohoff, Barcelona
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